Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung
José Salinas „Corpus“
16. Mai 2013
Kunstverein Bamberg e.V. im ETA Hoffmann-Theater Bamberg
von Barbara Leicht M.A., Kunstmuseum Erlangen
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
José Salinas ist Architekt und Künstler. Er zeigt in seiner Schau „Corpus“ anthropomorphe
Formen auf über 30 Werken aus den Jahren 2009 bis 2013, nur zwei stammen aus dem Jahr
2005.
Das Phänomen des menschlichen Körpers ist das Zentrum dieser Arbeiten, in denen Salinas
sein Verständnis von Körperlichkeit erörtert, basierend auf dem „Vitruvianischen Menschen“,
den Sie sicher alle kennen. Vitruv schrieb im ersten Jh. v. Chr. Zehn Bühcer über die
Architektur „de architectura libri decem“. Dort findet sich die Proportionsbeschreibung eines
menschlichen Körpers ohne Abbildung. Erst in der Renaissance machte Leonardo da Vinci
von der Beschreibung des „homo bene figuratus“ Gebrauch und schuf eine bis heute gültige
Abbildung, die es unter anderem bis auf unsere Krankenversicherungskarten geschafft hat.
Diese Proportionslehre des Vitruv gründet auf der Einbeschreibung eines menschlichen
(männlichen) Körpers zeitgleich in ein Quadrat und einen Kreis. Eine ästhetisch-geometrische
Denkweise.
Diesem Körper steht der „Euklidische Körper“ gegenüber. Letzterer ist ein konstruierter,
geordneter Körper im Sinne der synthetischen Geometrie, in der alle geometrischen Objekte
wie Linien, Punkte oder Formen durch ihre Beziehungen zueinander definiert werden – in
aller Kürze beschrieben. Bitte zwingen Sie mich nicht zu Beweisen und Berechnungen, leider
bin ich der höheren Mathematik nicht mächtig.
Auf der Grundlage des Vitruvianischen Menschen, der Kunstgeschichte und der antiken resp.
neuzeitlichen Proportionslehre arbeitet Salinas an der Auflösung des klassischen „Corpus“.
Seine Arbeiten sind ausschließlich per Animationsprogramm entstanden. Der
Anthropozentrismus ist in der virtuellen Kunst angekommen.
Dem Künstler geht es nicht um eine veristische Wiedergabe eines modernen Menschen,
auch will er keinen Avatar schaffen, selbst wenn dies so anmuten mag. Er interpretiert
Körperlichkeit, also den Leib des Menschen mit den Mitteln des 21. Jh.
Salinas versteht Körper als Räume, die durch äußere Einflüsse geformt werden und nicht wie
ein natürlicher menschlicher Körper durch die Evolution.
Diese Körper sind der Interaktion verschiedenster Systeme unterworfen. Eine ganze Reihe
von Parametern wirken von außen auf die figurativen Anmutungen ein, die einerseits den
Kontext des menschlichen Körpers bewahren, sich aber andererseits beginnen zu verändern,
aufzulösen und sich vom Formalismus befreien.
Durch Salinas Einwirken entstehen topologische Körper.
Die Topologie ist die mathematische Lehre von Orten, sie hat nichts mit der Topographie zu
tun, die die Oberflächenstruktur von z.B. Landschaften vermisst. Topologie erörtert die
Eigenschaften in einem mathematischen Raum, der ständigen Veränderungen unterworfen
ist.
Sie werden bemerken, dass ich weit abschweife von einer kunstgeschichtlichen Terminologie
und dass ich gezwungen bin, Ihnen die komplexen Bildwelten des José Salinas mit einigen
nicht ganz alltäglichen Begriffen näher zu bringen.
Der Künstler entwickelte für seine umfassenden Studien das Knowledge Based System-
Design. In der Übersetzung bieten sich zwei Möglichkeiten an: Knowledge für das Wissen
aber auch für die Erkenntnis als philosophischen Begriff.
Alles, was Sie hier sehen, alles, was Salinas generiert, entsteht per Computerprogramm. Dort
manipuliert er Punkte, Linien und Formen zu Körpern, deren Grundform menschlich
proportioniert ist. Dennoch legt der Künstler keinen Wert auf Details, denn seine Form ist
antropomorph und somit selbsterklärend.
Mit diesem „Kniff“ gelingt es ihm, den Blick des Rezipienten auf seine Bilder zu lenken. Denn
die Kunst lehrt uns, dass wir uns in jedem Bild mit einer menschlichen Figuration selbst
finden, uns damit leichter, lieber auseinandersetzen und beginnen, die Inhalte zu
hinterfragen.
Ein topografisch bestimmter Umgebungsraum, den wir zumeist von klassischen Gemälden
kennen, wird aufgegeben. Der Körper selbst definiert den Raum und die äußeren Einflüsse
definieren ihn. Salinas verzichtet komplett auf perspektivische Versatzstücke, denn seine
Korpora sind wahrhaft komplex genug, um Volumina und Tiefe auszudrücken. Sie vereinigen
alle Ebenen eines herkömmlichen Bildes in ihrer körperhaften Anmutung.
Bilder mit extraordinärer Aussagekraft entstehen, wahrhaft recht ungewohnt.
Wie Sie sicher bemerkt haben, scheint hinter diesen Werken mehr als nur die Absicht zu
stecken, eine Körperhülle zu zeigen – Knowledge gleich Erkenntnis.
In sequentiellen Arbeiten wie den „Synchronic Bodies“ beispielsweise lässt Salinas zwei
Körper sich parallel verändern, von zunächst recht geschlossenen Formen mit fließenden
Oberflächen hin zu komplizierten Anmutungen mit linear differenzierten Binnenstrukturen.
Salinas beruft sich auf Barcode und binäres System und entwickelt damit eine eigene
Ikonografie. Der Barcode darf als Träger individueller Informationen gesehen werden. Es ist
also in diesem Falle nicht die Physiognomie eines Menschen, die ihn definiert – Sie hörten ja
soeben, dass Salinas auf naturalistische Einzelheiten keinen Wert legt. Stattdessen
verwendet der Künstler ein Verfahren, das wir aus der Vielfalt unserer Warenwelt kennen und
setzt es ein, um die Individualität eines Wesens zu kennzeichnen.
Die Körper kommunizieren miteinander, auch scheinen sie sich gemeinsam der Auflösung
hinzugeben.
Ein wenig Kunstgeschichte wird bemerkbar: Die Vanitas, die Vergänglichkeit. Nichts ist ewig.
Hier lässt sich Tradition spüren, entstammt Salinas doch dem katholischen Spanien mit
dramatischen, figurativen Bildprogrammen, unter anderem im Barock. Selbst wenn er es
leugnen würde, postuliere ich, kann er sich nicht ganz von dieser Tradition abwenden.
Der Mensch ist ein visuell Wahrnehmender und gerade seine ersten Eindrücke sind
maßgeblich für den Bilderschatz in seinem Kopf.
Diese Körper entstehen durch Rendering, bei dem aus numerischen Daten eine
dreidimensionale Darstellung errechnet wird und durch Scanning. Salinas erlaubt uns einen
Blick durch die Technik auf den Menschen. Unweigerlich denkt man an Bild gebende High
Tech- Verfahren.
Disembodiment: Die Entkörperung
Virtualität wird durch das belichtete, hochauflösende, digitale Bild materialisiert. Das Bild
tendiert zum Computergemälde und manifestiert sein Motiv und die künstlerische Intention
José Salinas’.
Die Transformation der Körper geschieht durch Konditionen der Umgebung, die zwar selbst
nicht sichtbar sind, jedoch an den Veränderungen der Oberflächen sichtbar werden. Das
Innere der Körper scheint nach außen zu dringen. Am deutlichsten zeigt sich dies wohl beim
Werk „Body 080“ von 2009. Er scheint gänzlich dematerialisiert zu sein. Der Körper entledigt
sich seiner Substanz und Geist und Seele befreien sich.
Mag sein, dass wir mit inneren Bildern konfrontiert werden.
Ebenso zeigen Ansichten von physiognomieähnlichen Studien [Siehe Serie „Skinned“
(Gehäutet)], mehr Seelenlandschaften, denn Portraits, in deren direkter Nachfolge diese
Arbeiten allerdings stehen.
Die älteren Arbeiten zeigen sich in Schwarz-Weiß mit synthetisch gehighlighteten
Reflexionen. In den jüngeren Werken leuchtet vermehrt eine kräftige Farbgebung in Valeurs
von Pink, Gelb, Rot und Grün.
In gewisser Hinsicht sind diese Werke als Kombination von einer Art virtuellen Fotografie und
der traditionellen Kunst zu verstehen. Diese „Computer generated Imagineries“ werden oft auf
Cibachrome belichtet, einem mittlerweile seltenen und recht teuren System, das die Farben
ganz besonders intensiv erscheinen lässt.
All seine Werke sind Unikate und keine Auflagenobjekte. Zwar sind es digitale Grafiken, aber
die soeben referierten Merkmale lassen sie mich dem Grenzbereich zur Computermalerei
zuordnen.
Der menschliche Körper hat für Salinas nichts mit Architektur zu tun, auch wenn einiges in
seinem architektonischen Werk in enger Verbindung zu organischen Formen steht. Einzige
Parallele ist hier die Zeichnung von Punkten, Linien und Formen.
Die Absicht Salinas ist es, die traditionellen Körperstrukturen und Volumina zu befreien und
ihnen in seinen Werken neuen Raum und neues Verständnis zukommen zu lassen. Salinas
will keinen neuen Menschen bauen, kein Dr. Jekyll oder Frankenstein sein. Doch er will den
Weg frei machen für ein neues Körperkonzept, das mit der virtuellen Welt einhergeht.
Salinas’ Kunst ist nicht revolutionär. Sie ist evolutionär, denn sie entsteht aus einer Tradition,
ohne deren Existenz der Künstler seine Körper- Raum- Konzepte nicht entwickeln hätte
können. Noch immer findet auch diese Kunst auf einem zwar sehr modernen, aber dennoch
klassischen Bildträger statt und nicht in einem Plasma oder einer Nebelkammer.
Durch die Herstellung der Bilder werden die virtuell geborenen Wesen materialisiert und
Salinas kann sie uns auf diese Weise näherbringen.
Salinas Schau „Corpus“ mag ein Blick in die Zukunft der Kunst sein. Ihre Grundlage jedoch ist
die Jahrtausende alte Entwicklung der Lust des Menschen sich und seine Welt abzubilden.
Dennoch macht das computerdiktierte 21. Jh. schier unendlich vieles möglich und provoziert
uns auf intellektueller Ebene Tradiertes neu zu denken. Dies können wir als Chance
wahrnehmen.
José Salinas hat schon längst damit begonnen, diese Chance zu nutzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
José Salinas – Corpus
Foyer des E.T.A.-Hoffmann-Theaters 05.2013